Friederike Müller wurde am 31. August 1887 in Besigheim geboren.
Ihre Eltern waren Karl Friedrich Müller (*1859 in Besigheim †1924 in Besigheim) und Karoline Katharina, geborene Gerstetter (*1851 in Besigheim †14. August 1927 in Besigheim an Wassersucht). Sie haben im November 1886 in Besigheim geheiratet. Karl Friedrich Müller war von Beruf Schmied.
Friederike hatte noch drei Geschwister. Alle in Besigheim geboren, getauft und konfirmiert:
Karl Friedrich *1888 †1972
Friedrich Wilhelm *1891 †1892
Ernst Gottlob *1893 †1915 gefallen im I. Weltkrieg
Das Wohnhaus der Familie Müller befindet sich in der Vorstadt 32. Leider findet sich im Häuserbuch der Stadt Besigheim nur wenig zu diesem Haus: „1867 errichtet der Maurer Georg Dieter: Nr. 302 ¼ - Ein zweistockiges Wohnhaus (85qm), mit gewölbtem Keller und Satteldach, Hofraum (30qm), in der Vorstadt, neben Jäger Joos und Friedrich Joos. 1876 verkauft Georg Dieter das Haus an den Weingärtner Ludwig Schlatterer. 1885 verkauft Ludwig Schlatterer das Haus an den Schmied Karl Müller, Jakobs Sohn.“
Laut Meldekarte der Stadt Besigheim war Friederike Müller, die im Haus ihrer Eltern in der Vorstadt 32 wohnte, Näherin bei der Firma Mattes & Lutz. Allerdings wissen wir nicht wann das war und auch nicht wie lange sie als Näherin gearbeitet hat. Aus der Anzeige der Lina Müller erfahren wir, dass sie im Juli 1926 bereits erwerbslos war.
Zudem gibt es ein ärztliches Zeugnis des Stadtarztes Cleß aus Besigheim:
Übersetzung:
Im Auftrag des Stadtschultheißenamts Besigheim habe ich am 20. August 1927 die ledige Friederike Müller aus Besigheim untersucht, um festzustellen, ob dieselbe zur Aufnahme in die Landarmenanstalt Markgröningen geeignet ist. In körperlicher Hinsicht konnte ich keinen krankhaften befund erheben. Jedoch scheint mir ihr geistiges Verhalten für eine Unterbringung in Markgröningen nicht geeignet zu sein. Ihr wüstes Schimpfen mit stark erotischem Einschlag, ihre zeitweise Zerstörungssucht machen das Zusammenleben mit ihren Hausgenossen u. mit der Nachbarschaft unmöglich. Ich halte eine Unterbringung in einer Irren-Anstalt zur Beobachtung ihres Geisteszustandes für notwendig.
Im Verzeichnis der Landarmenanstalt Rabenhof (Staatsarchiv Ludwigsburg)finden wir Friederike Müller unter der Nummer 404, Frauen, Seite 59:
Friederike Müller, ledig, evangelisch, geboren 31. August 1887 zu Besigheim
Beruf: Dienstmädchen.
Eingewiesen durch: von der Ortsfürsorge Besigheim eingewiesen
Grund der Aufnahme: alleinstehend, arbeitslos.
Eintritt: 7. Oktober 1927
Austritt: 8. Juni 1930 – entwichen … Eintritt: 10. Juni 1930
Austritt: 11. August 1933 – entwichen … Eintritt: 16. August 1933
Austritt: 7. Oktober 1937 versetzt in die Pflegeanstalt Liebenau/Meckenbeuren“
Ärztlicher Bericht
25.8.1932 Rabenhof
Müller, Friederike geb. 31.Aug.1887
früher ledige Dienstmagd und Fabrikarbeiterin, evangelisch, aus Besigheim
Erbliche Belastung: ist nicht bekannt. Nach anderer Angabe soll der Vater in einem gefährlichen geistigen Krankenzustand gewesen sein.
Frühere Krankheiten: Kropfleidend seit ihrer Entwicklung. Seit Oktober 1927 in der Rabenhofanstalt.
Geistige Veranlagung: zu jeder Arbeit. Durchschnittsveranlagung. Gemüt und Charakter wechselnd. Zu Tätlichkeiten bereit. Sonst nichts bekannt.
Berufliche Lebensführung: zuvor Dienstmagd und Fabrikarbeiterin, in der Anstalt zu Feldarbeit verwendet. Zu Küchenarbeiten wenig geeignet.
Jetzige Krankheit: gealtert, weißes Haar. Seit 3 Jahren zu keiner Arbeit mehr verwendbar, klagt über Atembeschwerden, wenn tätig; ist niedergeschlagen, verwirrt, trübsinnig, hört Stimmen, schreit ab und zu, sieht fremde Wesen.
Status praesens: Ernährung mittel, groß, Muskulatur und Fettpolster mäßig, Haut und Schleimhäute o.B., keine Narben, düsterer Gesichtsausdruck, liegt viel zu Bett oder sitzt umher, hat Neigung zum Entweichen.
Mißbildungen: keine
Augen, Gaumen, Sprache: o.B., jedoch zahnlos
Krämpfe: keine
Störungen Sinnesorgane: keine
Psychischer Zustand:
Bewusstsein: getrübt, nicht ganz orientiert, nicht intelligent
Stimmung: gedrückt, hört Stimmen und sieht Figuren
bes. Bemerkungen: reinlich, keine Neigung zum Zerstören und Zerreißen, sie muss fort zu ihren Angehörigen, sie muss auf den Friedhof, weil man sie gerufen hat
Diagnose: geistige Entartung
Friederike Müller bleibt in der Landarmenanstalt Rabenhof bis sie im Oktober 1937 in die Heilanstalt Liebenau/Meckenbeuren verlegt wird.
Laut Mitteilung des Sonderstandesamtes Grafeneck soll Friederike Müller am 14. Oktober 1940 verstorben sein. (Familienregister Besigheim)
In der Veröffentlichung aus dem Jahr 2009 „Gegen das Vergessen – Die NS-Verbrechen an Menschen der Stiftung Liebenau“ von Josef Friedel finden wir auf Seite 312 Friederike Müller. Josef Friedel hat alle Daten der Krankenmordopfer so genau als möglich aufgelistet. Wir erfahren, dass Friederike Müller auf der Verlegungsliste VI vom 2. 10.1940 nach „unbekannt“ verlegt wurde. Ihre T4 Identifikationsnummer war: A 27501. Ankunft in Grafeneck am 2.10.1940.
FRIEDERIKE MÜLLER
wurde am 2. Oktober 1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet.
Ihr Name findet sich im Gedenkbuch der Gedenkstätte Grafeneck. Für Friderike Müller verlegt Gunter Demnig am 19. September 2012 in der Vorstadt 32 einen Stolperstein. Der Verein Wartesaal – Kultur in Besigheim übernimmt die Patenschaft für den Stein.
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